Mit der Dauphine beginnt für Renault in den 1950er-Jahren eine neue Ära. Der sparsame und geräumige Viertürer mit Heckmotor festigt nicht nur die Position der Marke in Frankreich, sondern erweist sich auch als Türöffner für Amerika und den restlichen Weltmarkt. In elf Jahren verkauft Renault mehr als 2,1 Millionen Exemplare und entwickelt sich mit dem agilen Hecktriebler zum Global Player.
Frankreich 1956: Renault schwimmt auf einer Welle des Erfolgs und kämpft um den Titel des europäischen Automobilherstellers Nummer eins. Der kleine 4 CV verkauft sich in Frankreich wie warmes Baguette. Nur die Exportdaten befriedigen die Chefs in Billancourt nicht. Sie haben ein ehrgeiziges Ziel im Blick – den US-Automarkt. Den soll ein völlig neu entwickeltes Modell erobern, das Renault vor 20.000 Gästen im Pariser Palais de Chaillot präsentiert: die „Dauphine”.
Die Konstrukteure wählen für die „Thronfolgerin” – so die deutsche Übersetzung des Modellnamens – das damals übliche Konzept mit Heckmotor und Heckantrieb. Vorteil: optimale Traktion auch auf den damals meist schlechten Straßen. In Südeuropa, Südamerika und Afrika sind nicht asphaltierte Wege in ländlichen Gebieten zu dieser Zeit noch die Regel. Praktisch und zugleich chic: Die moderne Pontonkarosserie der Renault Dauphine bietet viel Platz für Passagiere und Gepäck. Ihren letzten Feinschliff erhält sie von Pietro Frua, dem späteren Schöpfer legendärer Maserati-Modelle. Serienmäßige vier Türen erhöhen den Komfort und bieten einen echten Wettbewerbsvorteil.
Mit Farbe gegen das automobile Einerlei
Mit ihrer Vielseitigkeit, dem niedrigen Verbrauch und dem günstigen Preis belegt die Dauphine 1956 bereits die Kompetenz von Renault im Kleinwagenbau. Und sie macht die Autowelt bunter: Während in den 1950er-Jahren das Gros der Fahrzeuge noch in protestantisch-freudlosem Look daherkommt, setzt der neue Renault mit Farbtönen wie „Rouge Montijo” oder „Jaune Bahamas” frische Akzente. Später kommen noch eine Luxusversion, eine Automatikausführung und diverse Sportvarianten hinzu. Die Dauphine erweist sich damit als würdige Vorläuferin des frisch modernisierten Renault Clio, der diese Tugenden ins 21. Jahrhundert fortführt: Aktuell können in Deutschland die Kunden unter fünf Ausstattungen und acht Motorvarianten auswählen. Damit zählt der Clio zu den vielseitigsten Fahrzeugen seines Segments.
Vom 4 CV zum „Projekt 109”
Als Vater der Dauphine gilt der Renault Vorstandsvorsitzende Pierre Lefaucheux. Unter seiner Regie legt das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg einen furiosen Neustart hin. Im Gegensatz zum Ministerium für Industrieproduktion, das Renault zum reinen Lkw-Produzenten umwandeln will, setzt Lefaucheux konsequent auf den Bau von Personenwagen. Er setzt 1947 den Bau des 4 CV durch und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Massenmotorisierung Frankreichs: Bereits 1954 feiert Renault das 500.000ste Exemplar.
Lefaucheux’ Traum ist es jedoch, in Amerika Fuß zu fassen, denn Renault und der französische Staat benötigen Devisen. Dazu braucht er einen Wagen, der größer, komfortabler und besser motorisiert ist als der 4 CV. Im Juli 1951 gibt er deshalb grünes Licht für die Dauphine, die damals noch den Arbeitstitel „Projekt 109” trägt. Im Geheimen tüftelt eine kleine Gruppe Eingeweihter bereits seit Februar 1949 an dem Fahrzeug. Parallel dazu baut Renault sein Werk in Flins an der Seine aus. Hier soll das neue Modell entstehen. Lefaucheux erlebt den Serienanlauf nicht mehr: Am 11. Februar 1955 verunglückt er bei einem Autounfall tödlich. Sein Nachfolger wird Pierre Dreyfus, der das Projekt mit dem gleichen Elan weiterverfolgt.
Autoadel mit 845 Kubikzentimetern
Später erhält es den klangvollen Namen, den es verdient: „Dauphine”. Renault hat mit dem Neuling Großes vor. Als Schöpfer der Modellbezeichnung gilt Marcel Wiriath, Direktor der Bank Crédit Lyonnais und Mitglied des Renault Verwaltungsrats. Auf einem Bankett erklärt er: „Der 4 CV ist die Königin! Das neue Modell kann deshalb nur die Dauphine sein!”
Das solcherart geadelte Auto wird von einem 845-Kubikzentimeter-Heckmotor mit 30 Brutto-PS angetrieben. Anders als beim Hauptkonkurrenten aus Deutschland ist der Vierzylinder wassergekühlt und dadurch deutlich leiser. Für die Frischluftzufuhr sorgen Einlässe vor den Hinterrädern. Die Kraftübertragung an die Hinterachse erfolgt über ein robustes 3-Gang-Getriebe, die Höchstgeschwindigkeit wird mit 115 km/h gestoppt. Obendrein machen 380 Liter Kofferraumvolumen und 5,9 Liter Kraftstoffkonsum pro 100 Kilometer nach damaliger Messmethode die Kronprinzessin zum echten Familienauto.
Verkaufsschlager rund um den Globus
Während in Flins das Fließband anläuft, schickt Dreyfus unter größter Geheimhaltung die ersten Dauphine in die USA. Dort sollen sie den Vertragshändlern als „Lockvögel” dienen. Und tatsächlich: Schon 1957 kaufen 28.000 Amerikaner eine Dauphine, 1958 sind es schon 57.000, und 1959 steigt die Zahl auf 102.000. Für den Transport über den Ozean gründet Renault eine eigene Gesellschaft und stattet sie mit großen Schiffen aus.
Auch in Europa entpuppt sich die kleine Dauphine für Renault als Exportlokomotive. Nicht alle Exemplare stammen aus Frankreich. Die Régie lässt ihr Erfolgsmodell auch im Ausland produzieren: Montagewerke für die Dauphine finden sich in Belgien, Spanien, Irland und Großbritannien. In Italien baut und vertreibt Alfa Romeo ab 1959 den Renault unter dem Namen „Dauphine Alfa Romeo”. Kurz darauf startet die Fertigung in Brasilien, Argentinien und Mexiko. Der Gang nach Indien scheitert zwar, dafür fasst Renault in Afrika Fuß mit Montagestätten in Algerien, Kamerun, Dahomey (heute Benin), dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik.
Die Dauphine ebnet Renault den Weg zum Global Player
Der amerikanische Markt erweist sich allerdings als schwieriger als erwartet: Ab 1960 schlagen die US-Hersteller mit eigenen „Compacts” zurück und machen damit Importen aus Europa mächtig Konkurrenz. Außerdem gerät der amerikanische Markt in ein wirtschaftliches Wellental. Hausgemachte Probleme kommen hinzu: Jetzt rächt sich der schnelle und unkontrollierte Aufbau des Händlernetzes. Während die Vertragshändler bald keine Kredite mehr bekommen, liefert Renault ungeachtet der Überhitzungserscheinungen im selben Tempo wie bisher Autos nach. Als Folge stehen Zehntausende unverkaufte Fahrzeuge auf Halde. Damit endet das amerikanische Abenteuer.
Erfolge in Europa und im Motorsport
In Europa jedoch bleibt die Dauphine eine feste Bank. Schon 1961 feiert Renault den Bau des 1,5-millionsten Fahrzeugs, die Montage der 100.000sten Auslands-Dauphine und den Export des 850.000sten Exemplars. Im selben Jahr erscheint die luxuriösere Variante „Ondine”. 1962 setzt Renault die Leistung auf 32 PS herauf. Ebenfalls 1962 debütiert die limitierte Serie Dauphine 1093 mit 55 PS und 4-Gang-Getriebe, 1964 folgt die Automatikvariante mit hochmoderner Drucktastenvorwahl der Fahrstufen.
Auch im seriennahen Rennsport macht die Dauphine eine gute Figur. In der Hand kundiger Piloten wird sie zum Siegerwagen. Auf ihr Konto gehen erste Plätze bei der Mille Miglia, der Rallye Monte Carlo, den Zwölf Stunden von Sebring, der Tour de Corse und der Rallye Lüttich-Rom-Lüttich. Ab 1957 nimmt sich obendrein der als „Hexenmeister” bekannte Tuner Amédée Gordini im Auftrag von Renault der Heckmotorlimousine an. Verschiedene werksgetunte Varianten tragen seinen Namen.
1967: Abschied von der Dauphine
Bereits 1962 bekommt die Dauphine mit dem Renault 8 einen moderneren Bruder mit Heckmotor zur Seite gestellt. Doch Renault lässt die Produktion seiner langjährigen Nummer eins nur langsam auslaufen: Erst 1965 kommt das Ende für die „normale” Dauphine, im Dezember 1967 läuft das letzte Gordini Modell vom Band. Nach 2.150.738 Exemplaren tritt damit das Auto ab, das Renault zur Weltmarke gemacht hat. Damit wird die Thronfolgerin zur wahren Königin.
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Fotos: Renault