Interieurdesign ist eine äußerst herausfordernde Disziplin
Christian Bauer leitet seit Juni 2017 den Bereich Interieurdesign bei MINI. Warum gerade Interieurdesign eine äußerst herausfordernde Disziplin ist, Automobildesign vor einem der vielleicht größten Paradigmenwechsel steht und welche Rolle MINI darin spielen wird, erläutert er in den folgenden zehn Fragen.
1. Warum sind Sie Automobildesigner geworden?
Der Beruf ist für mich Berufung und zugleich ein großes Privileg, weil wir als Designer die Welt ein bisschen schöner machen können. Bereits als Kind habe ich zwei Dinge geliebt: Autos und Zeichnen. Meine Matchbox-Sammlung war riesig. Auch hatte ich das Glück, immer von echten Fahrzeugen umgeben zu sein, da mein Vater viel an verschiedenen Modellen „schraubte“. Außerdem hat mir Zeichnen seit jeher viel Spaß gemacht. Die Kombination aus beiden Leidenschaften zum Beruf zu machen lag daher nahe und die Möglichkeit, an der Hochschule in Pforzheim Transportation Design studieren zu können, war eine tolle Basis für den Einstieg in diesen Beruf.
2. Was fasziniert Sie?
Entwicklung, Zukunft – im Prinzip fasziniert mich alles Neue. Stillstand ist für mich schwer zu ertragen und führt meiner Meinung nach auch langfristig zu nichts Gutem. Weiterentwicklung ist etwas, wozu der Mensch geboren wurde – er tut es von Kindheit an. Und welche Freude das macht, zeigen mir meine eigenen Kinder immer wieder. Ihre Begeisterung, etwas Neues zu können oder zu verstehen, wird ehrlich und direkt mitgeteilt. Diese Freude an der eigenen positiven Entwicklung begeistert und fasziniert mich gleichermaßen. Auch ich fordere mich stets selbst heraus, um voranzukommen und Neues zu schaffen.
3. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Mich inspiriert Ungewöhnliches und Ungesehenes. Wenn jemand erfolgreich einen anderen Weg gegangen ist, führt mir das immer vor Augen, dass wir uns manchmal zu sehr an das Bekannte halten. Neue Wege setzen oft auch neue Standards. Es lohnt sich also, unbekannte Wege zu gehen, auch wenn viele Hindernisse umgangen werden müssen und Mut gefordert ist. Inspirierend finde ich auch Errungenschaften aus den unterschiedlichsten Disziplinen – von Architektur über Biologie oder Physik bis hin natürlich zu Design. Aktuell passiert sehr viel über Bereichsgrenzen hinaus, was großen Einfluss auf Design haben kann. So arbeiten Biologen mit Technikern an intelligenten Materialien. In Zukunft können beispielsweise Oberflächen wie Leder, Textil oder Holz mit Licht, Sound oder Bewegung kommunizieren. Funktionen und Bauteile werden verschmelzen und damit völlig neue Möglichkeiten eröffnen.
4. Was ist für Sie gutes Design?
Für mich bezieht sich gutes Design immer auf das Umfeld, in dem es passiert, und dabei insbesondere auf die Person, auf die z. B. das Produkt zugeschnitten sein soll. Die Zeit prägt Sehgewohnheiten und damit den aktuellen Geschmack. Heute dominiert beispielsweise Klarheit das Design, da die Welt hochkomplex geworden ist und wir überfrachtet werden mit Eindrücken. Gutes Design muss jedoch nicht notwendigerweise den Zeitgeschmack widerspiegeln: Es existiert auch zeitloses Design. Alles in allem muss gutes Design meiner Meinung nach einen Mehrwert bieten – funktional wie emotional.
5. Was begeistert Sie an Ihrer Arbeit als Automobildesigner?
Design ist für mich deutlich mehr als formale Ästhetik, für mich ist es die Arbeit für und mit Menschen. Das bedeutet, dass Design immer auch einen Nutzen schafft, der den Menschen bzw. Kunden in mindestens einem seiner Bedürfnisse trifft – und sei dies „nur“ im Wohlbefinden. Kurz: Design macht das Leben besser. Daran aktiv teilzuhaben macht mich stolz.
Auch begeistert mich der Aspekt der Voraussicht, d. h. zu durchdringen, welche Bedürfnisse der Mensch in Zukunft entwickeln wird und wie wir diese bedienen können. Durch diese Vordenkerrolle kann Design der Treiber für technologische Innovationen sein und sogar Entwickler inspirieren. Das macht meinen Beruf sehr spannend und reizvoll.
6. Bei Automobildesign denken viele zunächst an das Exterieurdesign – warum nicht an das Interieur?
Der erste Kontakt mit einem Fahrzeug geschieht über das Exterieur. Das ist das, was man zuerst sieht und woraus direkte Emotionen entstehen. Durch die Formgestaltung des Exterieurs werden dem Fahrzeug Attribute wie bspw. Kraft, Geschwindigkeit oder Agilität – in Summe ein eigener Charakter – zugewiesen. Und nicht selten wird das Produkt auch zum Statement, es repräsentiert den Status und Charakter des Fahrers. Das Exterieurdesign ist extrem wichtig. Was aber den Kunden auf lange Sicht hält – das wissen wir aus vielen Studien – ist das Interieur.
7. Worin liegt die Besonderheit des Interieurdesigns?
Die eigentliche Feuerprobe durch die Kunden wartet im Interieur – und diese ist deutlich schwieriger zu bestehen. Wenn man sich im Fahrzeug nicht wohlfühlt, die Bedienung nicht versteht, die Materialien nicht mag oder die Verarbeitung miserabel findet, dann kauft man diese Marke mit großer Wahrscheinlichkeit kein zweites Mal. Als Interieurdesigner muss man sich in zahlreichen Disziplinen zurechtfinden. Notwendig sind Grundkenntnisse in Ergonomie, menschlichem Verhalten, Akustik, Bedienlogik und noch vielem mehr. Der Mensch darf beispielsweise in seiner Bewegung nicht eingeschränkt sein, muss gleichzeitig jedoch geführt und gehalten werden. Es darf ihn nichts blenden, und doch muss alles gut erkennbar sein. Und das alles nicht nur in einer Position, sondern in dem Kreislauf von verschiedensten Bewegungs- und Nutzungsszenarien – über die Konfiguration am Handy, den Einstieg, das Fahren selbst bis hin zum Ausstieg. Und alles natürlich unkompliziert und intuitiv bedienbar. Das i-Tüpfelchen ist dann das Design der Flächen, die Stimmigkeit der Bauteile zueinander, das Wirken des gesamten Innenraums. Dazu muss man wissen, dass wir in einem ziemlich engen Korsett aus technischen Randbedingungen stecken, wie Steifigkeit, Crashverhalten, Schallisolierung, Kabelbäume oder Materialwandstärken. Diese gilt es so zu beeinflussen, dass mehr Platz und Freiheit für das Designthema zur Verfügung steht. Und sie können sicher sein, dass immer irgendetwas im Weg ist. Somit ist es eine Herausforderung, eine Linie oder Fläche so sauber durchzuziehen, dass sie nicht wie eine Verkleidung der technischen Randbedingungen wirkt.
Für uns Interieurdesigner liegt hier die Kunst: Begeisterung zu wecken und Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, mit all diesen komplexen Vorgaben.
Das Gefühl, wenn dann der Vorstand mit Begeisterung das Serieninterieur bestätigt, ist unbeschreiblich und eine echte Belohnung für den Einsatz.
8. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigen Themen der Zukunft für MINI, und welche Rolle spielt das Interieurdesign dabei?
Aktuell ist vieles in der automobilen Welt in Bewegung. Im komplexen Umfeld von Digitalisierung, autonomem Fahren und natürlich auch Elektromobilität wollen wir für kleinere Fahrzeuge im Premiumsegment ein sinnvolles wie emotionales Angebot bieten. Diesen sogenannten Schritt in die neue Welt möchten wir bei MINI aktiv treiben. Das Interieurdesign spielt im Rahmen dieser Entwicklungen eine absolut zentrale Rolle. Ein angenehmes, flexibles Umfeld, während man von A nach B fährt, wird immer wichtiger. Das autonome Fahren wird den Fahrzeuginnenraum verändern. Neben dem Zuhause wird für viele Menschen das Fahrzeug zu einem zweiten Lebensraum werden. Wir werden wohl auch in Zukunft viel Zeit im Fahrzeug verbringen – vielleicht noch mehr als heute –, doch werden wir dort zunehmend andere Dinge tun können. Lesen, schlafen, online einkaufen oder mit den Kindern spielen – alles scheint möglich. Der Innenraum muss daher neue Nutzungsbedingungen berücksichtigen. Und als Interieurdesigner ist es uns möglich, vollkommen neue Welten und Erlebnisse gestalten und eine neue Ebene von Lebensqualität bieten zu können. Ich sehe hierin den womöglich größten Paradigmenwechsel im Automobilbau.
9. Wie wird das bei MINI konkret aussehen?
MINI steht für maximales Erlebnis auf minimaler Verkehrsfläche. Durch die technischen Anforderungen der Elektromobilität müssen Bauräume und Aufteilungen neu gedacht werden. Dies bietet für MINI ein enormes Potenzial. Auch die Interaktion mit dem Fahrzeug wird zunehmend wichtiger. Der Kunde wird sich im MINI auch zukünftig sofort intuitiv zurechtfinden. MINI wird zeigen, dass Interaktion weder langweilig oder technisch aussehen noch kompliziert bedienbar sein muss. Wichtig ist, dass jeder, der in einen MINI einsteigt, sich auch in Zukunft wohlfühlen wird. Am besten möchte er gar nicht mehr aussteigen.
10. Wie sieht für Sie das perfekte Interieur der Zukunft aus?
Ich glaube und hoffe, dass es „das“ perfekte Interieur nicht gibt, da wir sonst arbeitslos wären. Sicherlich wird es einen viel höheren Grad an Flexibilität und Verschmelzung aller betroffenen Bereiche wie Material, Anzeige, Bewegung, Sound, Duft und Bedienung geben. Ich freue mich auf die bevorstehende Zeit und hoffe, dass diese Designern wie Ingenieuren Freiheiten ermöglicht, um etwas vollkommen Neues zu entwickeln.
Vielen Dank!
Vita
Christian Bauer leitet seit Juni 2017 den Bereich Interieur Design bei MINI. Vor seinem Wechsel zu MINI verantwortete der 43-Jährige das Interieur und Detail Design bei BMW i. Zuvor war er als Teamleiter sowie als kommissarischer Gesamtleiter im Bereich BMW Interieur Design und Detail tätig.
Quelle: Mini